Über Karl Koch
Er hat keinen Abschiedsbrief hinterlassen, keine Erklärung, nichts. Er nannte sich “Hagbard Celine” nach der Hauptfigur eines Romans. In der Trilogie Illuminatus! kämpft der geniale Held gegen einen mächtigen Geheimbund, der die Welt beherrscht und einen Atomkrieg anzetteln will. Hagbard bleibt Sieger.
Im wirklichen Leben hieß er Karl Koch und war ein ewiger Verlierer: aus zerrüttetem Elternhaus und früh Waise geworden, Schulabbrecher und drogensüchtiger Computerfreak, der für sein Hobby, weltweit durch Datennetze zu wandern, in anderthalb Jahren sein 100 000-Mark-Erbe durchbrachte. Auf regelmäßigen Hackerpartys, die oft bei Koch in der Wohnung stiegen, kam eine handvoll Freaks zusammen, versammelte sich um den Bildschirm und fing an zu tüfteln. Vom späten Nachmittag an, die Nacht hindurch bis in den frühen Morgen knobelten die Hacker Wege aus, die in fremde Rechner bis nach Japan und in die USA führten, hinein in die Rechenzentren von Konzernen, Universitäten und Verwaltungen.
Koch war ein begnadeter Hacker und ein naiver Idealist, der sich in seiner selbst gestrickten Verschwörungstheorie verhedderte.
Er glaubte fest daran, dass die Welt von fünf Menschen beherrscht wird und dass es seine Aufgabe ist, einen dritten Weltkrieg zu verhindern. Das Geld aus Moskau war für die in Hannover und Berlin beheimateten Hacker ganz offenkundig nicht der ursprüngliche Anlass für ihre elektronischen Weltreisen. Die Hacker berauschten sich an ihren Möglichkeiten: Durch raffinierte Manipulation verschafften sie sich so genannte Benutzerprivilegien, irritierten Systeme und sperrten auch schon mal Systemmanager von ihren eigenen Computern aus. Wo der Rausch des “Wissens um die ungeheuren Möglichkeiten” (Koch) nicht reichte, half Kokain. Das war nötig, damit zumindest Karl die Nächte vor dem flimmernden Schirm überhaupt durchstehen konnte.
Das alles fand ein jähes Ende, als die Polizei die norddeutsche Hacker-Szene durchsuchte und die einschlägigen Personen eindringlichen Befragungen unterzog. Karl Koch und ein zweiter Hacker gestanden alles. Durch Filmmaterial für die TV-Sendung Panorama, die zwei NDR Journalisten in einem Bahnhofsschließfach deponiert hatten (Karl Koch hatte gegen Bezahlung vor laufender Kamera gehackt) wurde bekannt, dass Koch in den bisher spektakulärsten Fall von Computerspionage verwickelt war. Die Hacker hatten Rechner von Militärs, Raumfahrt- und Rüstungsfirmen angezapft und die Computerdaten über zwei Mittelsmänner an den sowjetischen Geheimdienst KGB verkauft (SPIEGEL 10/1989).
Am 23. Mai 1989 stirbt Karl unter bis heute ungeklärten Umständen (offiziell wird der 24. als Todestag angegeben, Karl kehrte jedoch am 23. nicht von einer Dienstreise zurück). Alles, was man neben dem verkohlten Leichnam in einem Waldstück bei Gifhorn fand, war ein geschmolzener Benzinkanister. Allerdings hatte Karls Tod viele Fragen hinterlassen: “Selbstmord oder Hinrichtung?” schlagzeilte die hannoversche “Neue Presse”.
Illuminatus!-Kennern fiel die Symbolträchtigkeit des Datums auf, der 23. 5. 23 und 5 gelten unter Weltverschwörern als heilige Zahlen, die in allen Geheimschriften, Codes und Kalendern der Illuminaten eine wichtige Rolle spielen.
Der Film “23 – Nichts ist so wie es scheint”, der fast zehn Jahre nach Karls Tod ins Kino kam, erzählt die Geschichte des jungen Hackers. Schon der Titel des Filmes zeigt, wie sehr das Leben des Karl Koch von seinem Glauben an die Botschaften des Romans Illuminatus! geprägt war. Schon mit vierzehn bekommt er das Buch von seinem Vater geschenkt, er misst dem Roman so viel Bedeutung bei wie Christen der Bibel. Im Gegensatz zu seiner Freundin Beate hält er das Geschriebene für reale Tatsachen, nicht für Fiktion. Den Autor Robert Anton Wilson verehrt er wie einen Propheten.
Zum Inhalt des Films
Hannover 1986. Karl Koch (August Diehl), der Sohn eines konservativen Hannoveraner Zeitungsredakteurs (Hanns Zischler), will sich nicht anpassen. Er rebelliert gegen seinen Vater und demonstriert gegen Brokdorf. Robert Anton Wilsons Buch Illuminatus! liest er fünfzig oder sechzig Mal. Zusammen mit seinem Freund David stößt er immer wieder auf die Zahl 23 und die Pyramide der Freimaurer. Er ist später sogar davon überzeugt, dass sein Geist von den Illuminaten manipuliert wird, dass er indirekt und unfreiwillig zum Werkzeug ihrer Machenschaften geworden ist.
Eingenommen von Wilsons Roman versucht Karl Koch, seine Freunde von den darin enthaltenen Halbwahrheiten zu überzeugen; diese reagieren jedoch größtenteils mit Unverständnis. Daraufhin versucht er, ihnen die Existenz der Illuminaten zu beweisen, indem er beispielsweise auf die amerikanische Dollarnote verweist: nach seiner Theorie (der Theorie Wilsons also) ist das darauf dargestellte Porträt George Washingtons eigentlich das Abbild Adam Weishaupts,die Freimaurerpyramide auf der Rückseite interpretiert er als Beleg für die Infiltration Amerikas durch die Illuminaten.
Des Weiteren sieht der im Film dargestellte Karl Koch in der Ermordung Olaf Palmes eine Tat der Illuminaten, da die Schüsse auf ihn um 23 Uhr 23 abgegeben wurden. Auch der Anschlag auf die Diskothek “La Belle” führt er auf die Verschwörung zurück, da diese die Hausnummer 23 hatte.
Am 23.5.1949 trat das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Seitdem kommt an diesem Tag die Bundesversammlung zusammen, um den Bundespräsidenten zu wählen. Auch dieses Datum ist für Karl Koch kein Zufälliges, vor allem, da 1949 in der Quersumme wiederum 23 ergibt – alles in allem für ihn ein Beleg für die Macht der Illuminaten auch in der heutigen Bundesrepublik. Gibt es tatsächlich eine Weltverschwörung?
Karls Vater stirbt an einem Gehirntumor. Von den geerbten 50 000 Mark mietet er sich eine riesige Wohnung und lädt alle seine Bekannten zu Parties ein.
Bei einem Treffen mit Hackern lernt er den Schüler David (Fabian Busch) kennen. Auf der Suche nach der Wahrheit hinter irritierenden Ereignissen wie der Katastrophe in Tschernobyl beginnen die beiden, mit ihrem “Commodore” und einem Telefonhörer-Modem in Großrechner von Kernkraftwerken und Rüstungsunternehmen einzudringen. Weil nachts die Gebühren niedriger sind, sitzen Karl und David von abends bis morgens vor ihren Computern, knacken Passwörter und laden firmeninterne Daten herunter. Karl schnupft Kokain, das er von Pepe bekommt, damit er wach bleibt. Um seine Schulden bei Pepe bezahlen zu können, muss er noch mehr Geheiminformationen beschaffen. Bald nachdem Karl und David einen Fernsehjournalisten für eine Story über ihren Hackangriff auf ein deutsches Kernkraftwerk interessiert haben, merkt Karl – der sich inzwischen wie “Hagbard”, der Held in dem Buch Illuminatus! fühlt -, dass er aus einer schräg gegenüberliegenden Wohnung von Geheimdienstleuten beobachtet wird, und während seiner Abwesenheit durchsucht jemand seine Wohnung.
Als Folge von Stress und Drogen verwischen sich für ihn die Grenzen zwischen Realität und Halluzination. Er verliert die Kontrolle und verkommt zum Wrack. Aufgrund eines Zusammenbruchs wird er in ein Krankenhaus eingeliefert und nach der Entziehung in einem Heim untergebracht.
Dort erfährt er, dass die Polizei gegen ihn ermittelt. Die Fernsehleute, deren Büros bereits durchsucht wurden, drängen ihn, sich zu stellen. Als Lupo und Pepe von David hören, dass Karl aussagen will, lauern sie ihm auf und schlagen ihn zusammen. Er geht dennoch zum Verfassungsschutz. Eine Woche lang verhören ihn die Geheimdienstleute und Beamte vom Bundeskriminalamt, dann bringen sie Karl in einer kleinen Kellerwohnung in einem anderen Stadtteil unter und verschaffen ihm eine Halbtagsstelle als Fahrer bei der Stadtverwaltung von Hannover.
Pepe und Lupo werden am 1. Mai 1989 verhaftet und ein halbes Jahr später in Celle zu 24 bzw. 14 Monaten Haft verurteilt, wobei das Gericht die Strafe in beiden Fällen zur Bewährung aussetzt. David geht als Kronzeuge straffrei aus und berichtet im “Stern” exklusiv über seine Erlebnisse.
Karl Koch kehrt am 23. Mai 1989 von einer Dienstfahrt nicht zurück. Eine Woche später wird die verkohlte Leiche des 23-Jährigen in einem Birkenwald neben der Bundesstraße nach Wolfsburg gefunden. Ob es sich um Mord oder Suizid handelte, ist nicht bekannt.
Über den Film
Hans-Christian Schmid (Regie und Drehbuch) und Michael Gutmann (Drehbuch) erzählen die Geschichte dieser Selbstzerstörung spröd, nüchtern, fast dokumentarisch und porträtieren damit nicht nur eine authentische Person, sondern auch eine Generation: Jugendliche, die in den Achtzigerjahren über die moderne Welt irritiert waren und sie dämonisierten, um sie zu begreifen.
Die Macher des Films besuchten auch den Illuminatus!-Autor Robert Anton Wilson. Der 1932 in New York geborene studierte Psychologe, Mathematiker und Elektrotechniker und Autor zahlreicher Bücher ist Vizepräsident des “Institute for the Study of Human Future”. Ernsthafte Fragen zur Bedeutung von Illuminatus! habe der Autor nur ungern oder mit einem ironischen Augenzwinkern beantwortet, berichten die Filmmacher. Was er wirklich denkt, gibt er nicht preis.
Auch der Klappentext der deutschen Ausgabe des Buches bezeichnet den Roman als “intellektuellen Spaß erster Güte”, so dass man sich doch fragen muss, warum Karl Koch sein gesamtes Leben davon abhängig gemacht hat.
Schmid und Gutmann berichten über die Biografie Karl Kochs auch in ihrem Buch “Dreiundzwanzig – Die Geschichte des Hackers Karl Koch”. Freke, ein Jugendfreund Kochs, zu diesem Buch:
“Das Buch ist, von den über diesen Zusammenhang, über Karl, über die Computer Hacker für den KGB, erschienen Büchern, wohl das authentischste.”
http://www.freke.de/index_old.html
"Freke" war ebenfalls an einer von Freunden des Hackers verfassten und im Internet veröffentlichten und umfangreichen Dokumentation über das Leben Karl Kochs beteiligt, die unter http://www.schaechl.de/kk/ einzusehen ist.
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